Vom Los der Textilarbeiterinnen

Veröffentlicht am 17.04.2010 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung
Von Cornelie Elsässer

Wo heute mitten in der Stadt Wohnareale, Museen und Einkaufszentren stehen, schufteten früher Tausende Frauen unter extremen Bedingungen. Die Textilindustrie, so Ingrid Thalhofer vom Frauengeschichtskreis Augsburg, wurde auch als „Frauenindustrie“ bezeichnet. 80 Prozent der Beschäftigten waren weiblich. Sie selbst wie auch der Großteil der vorwiegend weiblichen Besucher einer Stadtführung hat den Alltag in Augsburger Textilfabriken und deren Schließung am eigenen Leib erfahren.

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Irmgard Stör spannte sie den Bogen vom Textilmuseum tim über das riesige Weberei-Gelände am Sparrenlech und die ehemalige Schüle’sche Kattunfabrik bis zum Areal der NAK bei der heutigen City-Galerie – eine gigantische Fläche, die vor Augen führt, welche Dimensionen die Textilfabriken in der Stadt einnahmen.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts drängten die Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem ländlichen Raum in Scharen in die Stadt. Der Sprung ins Industriezeitalter bedeutete vor allem für die Frauen eine radikale Veränderung ihres eigenen Lebens. Sie waren als Arbeitskräfte gefragt, denn sie waren nicht nur besonders geschickt und fingerfertig, sondern auch anpassungsfähig und genügsam. Mit umgerechnet neun Euro pro Woche bei 13 Stunden täglicher Arbeit von Montag bis Samstag konnte eine Arbeiterin im Jahr 1905 allerdings nicht einmal so viel verdienen, dass sie für sich selbst hätte sorgen können, geschweige denn eine Familie.

Die Arbeiterinnen waren häufig mangelernährt, lebten nur von Kartoffeln, Getreide und Gemüse. Hitze, Lärm, Staub, Feuchtigkeit und „ein Gestank nach Urin und faulen Eiern, der von den verwendeten Chemikalien ausging“ setzten ihnen extrem zu, so Thalhofer. Trotzdem mussten sie vor und nach dem Schichtdienst ihre Kinder und den Haushalt versorgen. Neben der finanziellen Ausbeutung waren sie auch der Gunst ihrer Vorgesetzten völlig ausgeliefert.

In vielen Textilfabriken wurden Frauen als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Heute werden Textilien aus Preisgründen in Entwicklungsländern produziert. Die Frauen, die dort arbeiten, teilen ihr Schicksal mit den früheren Augsburger Arbeiterinnen – sie ermöglichen einen florierenden Absatz zu einem hohen persönlichen Preis. Denn auch sie erhalten wenig Lohn …